denkmal sinti und roma: umgang mit problemen des alltags

Frage

Schwierige Situation:
außerhalb des Denkmals der ermordeten Rom und Sinti laufen junge (vermutlich Roma-) Frauen um; mit der Vorwand Unterschriften für eine gemeinnützige Organisation zu sammeln versuchen sie Geld auf betrügerische Art und Weise für sich oder – noch schlimmer- für diejenigen zu bekommen, die sie auf die Straße schicken.

Noch schwierigere Situation:
woanders (soweit ich weiß nicht außerhalb des Denkmals) ist passiert, dass Menschen durch die angebliche Unterschriftensammlung abgelenkt und zeitgleich von anderen bestohlen wurden.

Was soll ein Guide tun, der gerade einer Besuchergruppe das Denkmal präsentiert?
Ist die Anwesenheit solche Unterschriften-Sammlerinnen nicht gerade eine Hilfe?

Eine mögliche Antwort

Die Tatsache, dass einige sogenannte „Zigeuner“ klauen oder kriminellen Aktivitäten nachgehen, kann bzw. soll (auch im Rahmen des Besuchs des Denkmals der als Zigeuner in NS-Zeit Verfolgten und Ermordeten) nicht verdrängt oder verleugnet werden. Das wäre sogar kontraproduktiv zu den Zwecken, wofür das Denkmal gebaut wurde.

Ebenso wenig sollte auch die Komplexität der angeblichen Gründe der Verfolgung der als Zigeuner auch in der NS-Zeit auf biologisch-rassistische Wahnvorstellungen reduziert werden. Es gab damals und es gibt auch heute kulturell-rassistische Meinungen und sicherheitspolitische Ängste, die das Verhalten von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den als Zigeuner empfunden Menschen mit beeinflussten und beeinflussen.

In diesem Bewusstsein kann man auch entscheiden, sogar den „Tiger“ der Vorurteile von einigen Besuchern zu reiten und im bzw. am Denkmal selbst die Anwesenheit von vielleicht kriminell handelnden Menschen direkt ansprechen.

Dabei sollte man/frau aber zum Ausdruck bringen, dass gerade solche Ereignissen in der NS-Zeit ein Beweis dafür sind, dass wer von anderen als kulturell rassistische empfundene Meinungen vertritt, Ressentiments und Angst gegenüber „Zigeunern“ spürt, persönliche Erfahrungen gemacht hat, die diese Vorurteile bestätigen, sich selbst hinterfragen muss und verstehen muss, welche Gefahren in diesen Einsichten stecken.

Wer aber solche persönliche Meinungen, Ressentiments und Vorurteile als verwerflich und niederwertig betrachtet, soll dabei nicht vergessen, dass dies auch „nur“ eine andere Meinung ist, mit der die Auseinandersetzung durch Respekt und ohne Belehrung laufen muss, um so mehr wenn der Zu-Belehrende der Auftraggeber der Führung ist.

Die Ereignissen in der NS-Zeit beweisen meiner Meinung nach, zu welchen (für die Minderheiten) zerstörerischen und (für die Mehrheitsgesellschaft) selbstzerstörerischen Folgen kulturell rassistischen Meinungen und sicherheitspolitische Ängste führen können, wenn
a) die Prinzipien des Rechtstaates verlassen werden und gegen einen Mensch nur wegen seiner Zugehörigkeit einer Gruppe und ohne rechtsgültige Beweise für seine individuelle Verantwortung an illegalen und kriminellen Aktivitäten vorgegangen wird
b) die Mehrheit seine (Über)Macht und seine Verantwortung gegenüber den Minderheiten vergisst. Die Mehrheit hat den /sitzt am längeren Hebel bzw. hält das Messer an der Seite des Griffes. Die Mehrheit hat mehr Mittel als die Minderheit, um die Radikalisierung der Beziehungen zwischen Mehrheit und Minderheit zu verhindern
c) dem Individuum die Chance und die Verantwortung verwehrt bzw. abgenommen wird, jedesmal von neuem zu allererst privat (ohne Eingriff des Staates) ein Modus der Koesistenz mit einem anderen Individuum aufzubauen: ein Miteinander, ein Nebeneinander oder ein „Jeder woanders“ leben.

Dies ist meine Meinung

Claudio Cassetti